CARE Affair #5: Sport


Barfuß zum Ziel

Editorial von Dr. Anton Markmiller, CARE-Hauptgeschäftsführer

Es gibt den alten Merksatz: „Nicht Gewinnen – Dabeisein ist alles!" Der Satz half mir als Schüler immer dabei, die erreichten sehr hinteren Plätze bei den ungeliebten Bundesjugendspielen mental halbwegs zu verkraften. Was aber, wenn es gar kein „Dabeisein" gibt?

Im Township Soshanguve in Südafrika habe ich ein Fußballturnier verfolgt, bei dem die meisten Spieler barfuß spielten, einige hatten Schuhe an, bei denen die Zehen aber vorne herausschauten. Das ist üblich, wenn man irgendwo an den Rändern des Marktes oder auf der Müllhalde ein Paar Schuhe ergattert, die dem glücklichen Finder dann aber zu klein sind. Die vordere Kappe wird einfach abgeschnitten. Bei diesem Fußballspiel gab es allerdings auch einen Linksaußen, der spielte mit nur einem Schuh. Erst dachte ich, na ja, er hat ihn wohl im Getümmel verloren. Aber als er den Schuh nicht suchen ging, sondern immer weiter auf das gegnerische Tor stürmte, war klar: es gab nur diesen einen Schuh.

Der Satz „Nicht Gewinnen – Dabeisein ist alles" erhält da einen faden Geschmack, weil er die Welt aus der Sicht der Begüterten, der Privilegierten und der Arrivierten beschreibt. Gerade der Sport geht doch davon aus, dass alle die gleichen Chancen haben und sich in fairen Wettkämpfen messen sollen, auf dass der Bessere gewinne. Die Olympische Idee lebt von der Überzeugung, dass sich alle Völker zu einem friedlichen Wettstreit zusammenfinden. Sicherlich handelt es sich bei den Olympischen Spielen um Hochleistungssport, der längst kommerzialisiert und durchorganisiert ist. Doch das Faszinosum eines weltweiten Sportereignisses, friedlich und gerecht, begeistert in regelmäßigen

Abständen den ganzen Globus.

Doch unser Kicker mit dem einen Schuh steht da ganz am Rande. Er ist tatsächlich „nicht dabei" und er wird auch nicht „gewinnen". Er wird auch nicht ins Stadion gehen können, wenn sie in Südafrika in diesem Jahr die Fußballweltmeisterschaft anpfeifen. Wer nur einen Schuh sein Eigen nennt, kann auch kein Ticket kaufen. Also werden sie irgendwo in Soshanguve einen alten Fernsehapparat auf einem wackeligen Gestell aufbauen und die Fans werden sich davor versammeln. Die Begeisterung wird allerdings genauso groß sein wie im Stadion, da bin ich sicher. Denn Sport ist für die Jugendlichen in Soshanguve – und überall auf der Welt – viel mehr als das Hochleistungsgezerre zwischen riesigem Erfolg und tragischem Scheitern.

Sport ist soziale Interaktion. Sport definiert sich weniger von wissenschaftstheoretischen Konzepten, als dadurch, was er für die Menschen im Alltag bedeutet. Kofi Annan, der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen, sagte vor Kurzem, dass der Sport eine einzigartige Rolle darin spiele, Wunden zu heilen und Menschen gegen soziale Probleme zu aktivieren. Und: „Ohne den Sport wäre die Welt ein schlechterer Ort." Sport bestimmt sich durch seinen „Sitz im Leben". Er ist dort authentisch, wo er eingebunden ist in die soziale, ökonomische und politische Gegebenheit einer Gesellschaft. Der Hochleistungssport der Olympiaden und Weltmeisterschaften ist daher eine Kategorie an sich, die sich gerade in den Ländern in Armut und Not als Parallelwelt zum „wirklichen Leben" ausprägt. Und das heißt für die Street-Soccer-Kids, die Basketball-Mädels, die Kicker von „Kick it" und für alle anderen eben: ihre Wirklichkeit und die des internationalen Sportgeschehens befinden sich in streng geschiedenen Umlaufbahnen.

Ein Grund für CARE, dem Sport an den Graswurzeln der Gesellschaft einen wichtigen Stellenwert bei der Gemeinwesenentwicklung einzuräumen. Nicht als Reservoir für irgendwelche Talentsucher, nicht um vorzutäuschen, dass es bei größter Anstrengung vielleicht für ein Dabeisein reichen könnte, nicht um im Stil von „Brot und Spielen" zur sozialen Beruhigung beizutragen – nein! CARE unterstützt Sportaktivitäten, weil sie dafür geeignet sind, das Selbstbewusstsein der Akteure zu stärken. Und Selbstbewusstsein brauchst du, wenn du im Slum lebst, in einem Township oder in einer Favela. Selbstbewusstsein brauchst du auch, wenn du mit nur einem Schuh kickst. Entsprechend hat mein Freund dann auch zwei Tore geschossen. Mit dem Fuß ohne Schuh.

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